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Archiv-Artikel

Alle 250.000 sind verdächtig

Ob Würstchenverkäufer, ob Journalistin – wer bei der WM arbeitet, wird vom Verfassungsschutz durchleuchtet. Auf zweifelhafter rechtlicher Grundlage

AUS MAGDEBURG MAURITIUS MUCH

Ein Besuch im Fußballstadion ohne Bratwurst ist schwer vorstellbar. Dazu braucht es dutzende Würstchenverkäufer im und um das Stadion. Doch zunächst müssen die erst einmal ins Stadion kommen. Das aber ist das Problem bei der Fußball-WM: Jeder Verkäufer muss eine Einwilligungserklärung unterschreiben. Darin stimmt er zu, dass Polizei oder Verfassungsschutz seine Vorgeschichte überprüfen. Ansonsten kommt er nicht ins Stadion – und verliert vielleicht sogar seinen Job.

Nicht nur Würstchenverkäufer, sondern auch Sanitäter, Putzpersonal, Handwerker, Journalisten oder Feuerwehrleute müssen das penible Akkreditierungsverfahren über sich ergehen lassen, wollen sie ihrer Arbeit im Stadion nachgehen. Insgesamt 250.000 Menschen, die rund um die zwölf WM-Arenen arbeiten, werden durchgecheckt – wenn auch nicht Polizisten, wie das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein, geleitet vom dortigen Datenschutzbeauftragten Thilo Weichert, zunächst gemeldet hatte.

Jede Wurstverkäuferin oder ihr Arbeitgeber schicken an die Landeskriminalämter die unterschriebene Erklärung, dass sie einer Überprüfung zustimmen. Die Behörden leiten die Daten weiter an das Bundeskriminalamt oder den Verfassungsschutz. Dort wird untersucht, ob gegen die betroffene Person etwas vorliegt. Das Ergebnis übermitteln die Behörden dann dem Weltfußballverband Fifa und dem Deutschen Fußball-Bund (DFB). Die Fußballfunktionäre schließlich teilen dem Arbeitgeber des Wurstverkäufers dann mit, ob er im Bereich des Stadions braten darf. Einen Grund für eine mögliche Ablehnung des Verkäufers müssen DFB und Fifa nicht nennen.

Für Datenschützer ist ein solches Akkreditierungsverfahren nicht hinnehmbar. „Die rechtliche Grundlage dafür ist und bleibt fragwürdig“, sagte Sachsen-Anhalts Datenschutzbeauftragter Harald von Bose am Rande einer zweitägigen Konferenz mit seinen Kollegen aus Bund und Ländern. Die Einwilligungserklärung sei rechtlich äußerst problematisch, weil sie nicht freiwillig unterschrieben werde. Denn der Wurstverkäufer stimme nur zu, weil er Angst um seinen Job habe.

Die Grünen und die FDP teilen die Bedenken der Datenschützer. Durch Anträge und Anfragen wollen sie die Bundesregierung dazu bringen, ein Gesetz zu verabschieden, das eine Rechtsgrundlage für die Schnüffelei schafft und den Einwänden der Datenschützer Rechnung trägt. Das lehnt die Regierung ab. Sie verweist darauf, dass die betroffenen Personen ihre Unterschrift freiwillig leisteten. Insofern genüge die Einwilligungserklärung als rechtliche Basis, heißt es in einer Antwort auf eine Anfrage der FDP.

Zudem verweist die große Koalition auf den einmaligen Charakter der Fußball-WM. Für so ein Event brauche man auch ein besonderes Akkreditierungsverfahren. Darin weiß sie die meisten Landesinnenminister, die Fifa und den DFB auf ihrer Seite.

Dem widersprechen die Datenschützer – aus Erfahrung: „Genau dieses Verfahren wurde bereits beim Confederations-Cup im Juni 2005 und bei der Auslosung der WM-Gruppen im Dezember 2005 angewendet“, sagt Thilo Weichert. Beim Confed-Cup wurden 28.000 Menschen von den verschiedenen Sicherheitsbehörden überprüft. Bei 550 Personen bestanden Bedenken. Sie konnten ihren Job nicht machen – wie auch 50 Menschen, die während der Gruppenauslosung in Leipzig arbeiten wollten.

Viel ändern können die Datenschützer am Akkreditierungsverfahren jedoch nicht. „Wir können nur Hinweise geben. Konkret umsetzen müssten sie die zuständigen Landes- und Bundesbehörden“, sagt der Bundesbeauftragte Peter Schaar. Die betroffenen Angestellten müssen sich selbst zur Wehr setzen, sollten sie abgelehnt werden. Der Wurstverkäufer könnte klagen, sollten die Behörden nicht erklären, warum er außen vor bleibt. Doch dass er mit seiner Klage in weniger als drei Monaten bis zum WM-Beginn durchkommt, ist fraglich. Und bis jetzt hat keiner der intern bereits Abgelehnten erfahren, dass die WM ohne ihn stattfindet.